„Wow, ich hatte Gänsehaut!“– so beschreibt eine Zuschauerin ihre Eindrücke nach der Vorführung. Doch am 13. November 2024 flimmerten keine Gruselszenen über die Leinwand des Cineding in Leipzig. Stattdessen berührte der Dokumentarfilm Liebe, Wut & Milchzähne durch seine ehrliche Darstellung der Herausforderungen des Eltern-Alltags.
Im Fokus steht ein Vater, der in stressigen Momenten mit seinem kleinen Kind an seine Grenzen stößt und in ungewollte Verhaltensmuster verfällt. Dieser Erziehungsautomat – wie er im Film treffend genannt wird – tritt in Aktion und bringt Druck, Drohungen, Wut und Lautstärke mit sich: „Wenn du jetzt nicht mitmachst, dann…“. Dabei handelt es sich um Reaktionen, die der Vater eigentlich vermeiden möchte. Der erste Aha-Moment für viele Zuschauer:innen: „Es geht anderen genauso. Ich bin nicht allein.“
Doch der Film bleibt nicht bei der Problemanalyse stehen. Er widmet sich der Frage: Wie können Eltern aus dieser Spirale ausbrechen, im Stress Erziehungspraktiken aufzurufen, die sie nicht unterstützen? Es geht nicht darum, Konflikte zu vermeiden, sondern sie so zu führen, dass keine Verletzungen entstehen. Der Vater im Film findet Orientierung, indem er seine Werte und Ziele hinterfragt – ein Weg, den viele Eltern nachvollziehen können.
Kindliche Entwicklung als Schlüssel
Dier Dokumentarfilm beleuchtet zudem die kindliche Entwicklung. Insbesondere die sogenannte Trotzphase wird von Expert:innen wie der Entwicklungsforscherin Dr. Gabriele Haug-Schnabel als ein bedeutender Meilenstein beschrieben: „Ein Kind muss sich vor seine Eltern stellen und sagen: Nein! Ob wir das als Eltern mühsam finden oder nicht“. Das gehört zur Autonomieentwicklung dazu. Kinder brauchen die Möglichkeit, alle Gefühle zu erleben und von ihren Eltern dabei begleitet zu werden.
Eltern können dabei Werte definieren, die ihre Reaktionen und Entscheidungen leiten. Klare Werte schaffen Sicherheit für Kinder, da sie besser einschätzen können, wann ein Ja oder ein Nein gemeint ist. Gleichzeitig gibt es Situationen, in denen elterliche Führung unabdingbar ist – und diese darf konsequent und liebevoll sein.
Reflexion statt erhobenem Zeigefinger
Der Film besticht durch seine authentische Darstellung und seine ermutigende Botschaft: Es ist in Ordnung, sich auf dem Weg zur Veränderung auch mal zu verlaufen. Ohne Vorwürfe oder einfache Lösungen regt Liebe, Wut & Milchzähne dazu an, eingefahrene Muster zu hinterfragen und eigene Standpunkte zu entwickeln.
Dieser Ansatz überzeugte auch die 25 Programmfachkräfte aus Leipzig, dem Landkreis Leipzig und Nordsachsen, die im Rahmen des KINDER STÄRKEN 2.0-Programms an der Filmvorführung teilnahmen. Viele fühlten sich an ihren eigenen Arbeitsalltag erinnert: Stressige Situationen sind auch in Kitas keine Seltenheit. Und sie stimmen überein, dass es genau diese Reflexion ist, die sie in ihre Kita-Praxis mitnehmen. Der Film bestärkte sie darin, kindliche Gefühle ernst zu nehmen und für eine bedürfnisorientierte Pädagogik einzutreten.
Eine praktische Handlungsempfehlung lautet: Kindern ihre Gefühle zu spiegeln, bevor man als Erwachsener Entscheidungen trifft. Ein Beispiel: „Ich sehe, dass dir das gerade nicht gefällt, aber ich entscheide jetzt, dass wir das gemeinsam schaffen.“
Von der Reflexion zur Kita-Praxis
Die Fachkräfte sind durch den Film ermutigt weiterzumachen, um Situationen und Handlungen im Umgang mit Kindern in der Kita wahrzunehmen, kontinuierlich zu hinterfragen und wenn nötig Handlungsalternativen zu entwickeln. Sie zeigten sich motiviert, den Film gemeinsam mit ihren Kita-Teams anzusehen, um Prozesse anzustoßen, die ein seelisch gesundes Aufwachsen von Kindern in der Kita fördern. Dabei betonten sie die Bedeutung von Biografiearbeit – also die Reflexion eigener Prägungen und Erfahrungen, die unbewusst das pädagogische Handeln beeinflussen.
Gleichzeitig wurde deutlich, dass viele von ihnen bereits einen wertvollen Beitrag leisten: Kinder werden in Entscheidungsprozesse einbezogen, und Fachkräfte bemühen sich um vertrauensvolle Beziehungen. Der Film sensibilisierte außerdem für die Perspektive der Eltern und stärkte das Verständnis für deren Herausforderungen.
Fazit: Nachhaltige Inspiration für Programmfachkräfte
Die Kinoatmosphäre bot den perfekten Rahmen, um die Botschaft des Films ungestört aufzunehmen und zu reflektieren. Auch wenn der Vorhang längst gefallen ist, bleibt Liebe, Wut & Milchzähne in den Gedanken der Fachkräfte präsent – als Ansporn für einen respektvollen Umgang mit Kindern, Eltern und den eigenen Herausforderungen im pädagogischen Alltag.
Titelbild: Freepik
Bild im Text aus Liebe, Wut & Milchzähne (2023) © Domenik Schuster